West Highland Way im Mutter-Tochter-Gespann
Unser Teammitglied Fabienne hat sich mit ihrer Mutter den West Highland Way vorgenommen. Im Blog erzählt sie vom Abenteuer Fernwanderweg.
Der Anfang
Erinnerst du dich noch an die ersten Wanderungen mit deinen Eltern? Meine Erinnerungen sind geprägt von einer mindestens 45-minütigen Prozedur, bis meine Mutter mich angezogen hatte (inklusive modischer Auseinandersetzung), alle nochmal auf Toilette waren und ja nichts vergessen wurde. Los marschiert mit einer gewissen Euphorie ging diese dann spätestens nach dem ersten Kilometer verloren. Hunger, Durst, Pause, Toilette, Hitze, Anstrengung. Alles gleichzeitig oder zur gleichen Zeit, alle etwas anderes.
Erklärt sich dadurch schon der Reiz es später noch einmal zu versuchen? Nun ja, es sind ja ein paar Jahre vergangen. Meine Mutter wurde 62 und ich 26. So verdreht und doch gleich diese Zahlen sind, so sind auch meine Mutter und ich. Zwei Frauen aus zwei Generationen, zwei unterschiedlich sozialisierte Charaktere mit einer ganz besonderen Bindung. Diese Beziehung ist schon ein Abenteuer in sich, also wieso nicht ein gemeinsames Abenteuer wagen?!
Der Weg
Der West Highland Way (WHW) ist einer der bekanntesten schottischen Fernwanderwege. Er erstreckt sich über 154 km von Milngavie nach Fort William. Er ist ein Kompromiss unserer beiden Charaktere. Mama hat Höhenangst, Probleme mit dem Fuß und mag die Abwechslung von kleinen Dörfern und der Natur. Ich fühle mich in den Bergen am wohlsten, suche nach möglichst unberührter Natur und gering besiedelten Ländern. Der West Highland Way vereint diese Faktoren durch seine vielfältige Landschaft. Von Seeufern, offenen Moorlandschaften bis hin zu steilen Bergen und kleinen Dörfern. Des Weiteren bietet dieser Sicherheit, durch die Anbindung an die öffentlichen Verkehrsmittel, die es ermöglichen jederzeit eine Etappe zu überspringen.
Eigentlich gewährt einem der WHW alle Möglichkeiten sein Abenteuer zu individualisieren. Einige wählen die B&Bs mit Versorgung, andere nutzen die Campingplätze und nochmal andere campen wild und versorgen sich selbst.
Ein wohl großes Argument für die letzte Variante ist die Offenheit Schottlands gegenüber Wildcampenden.
Mein persönliches Gegenargument sind die Highgland-Midges. Diese kleinen, fiesen, beißenden Insekten schwirren in Schwärmen um dich herum und verpassen dir an die 1000 juckende Bisse in der Sekunde (ok, leicht übertrieben, aber guckt euch gern ein Video dazu an). Andererseits könntet ihr zu der Sorte Mensch gehören (wie meine Mutter), für die sich die Highland Midge so gar nicht interessiert. Diese sitzen dann am Abend in völliger Ruhe ohne Ganzkörpernetz vor ihrem Zelt und genießen den Ausblick auf die Highlands. Vielleicht sind es auch einfach hart gesonnene, die die Rolle der Midges zum Erhalt der schottischen Natur zutiefst schätzen. Wir entscheiden uns schließlich für ein wenig mehr Komfort und ein paar Midges weniger. Also übernachten wir in unterschiedlichen Unterkünften entlang des Weges.
Wir starten am 1.06.2022 von Drymen unsere erste Etappe und überspringen somit den offiziellen Startpunkt des WHW. Vor uns liegen somit „nur noch“ 143 km: sieben Tage und sechs Nächte in sechs unterschiedlichen Unterkünften entlang des Weges. Wir starten jeweils mit unseren Rucksäcken hoch motiviert in den ersten Tag. Es geht 26 Kilometer, vorbei am Conic Hill und hin zur Mitte des Loch Lomonds, Schottlands größtem See.
“On the bonnie, bonnie banks of Loch Lomond”
Meine Mutter summt neben mir ein altes Volkslied über den Loch Lomond. Nachdem wir den Conic Hill überqueren, begleitet uns der See auf der linken Seite für knapp 16 km bis nach Rowardennan, wo wir schließlich im Hostel übernachten. Die Euphorie schwindet zwar nicht nach dem ersten Kilometer, aber nach dem zwanzigsten. Es ist eine anstrengende Etappe und aus der Retrospektive, wahrscheinlich die anstrengendste. Der Weg entlang des Seeufers führt durch schöne Birkenwälder, an Stränden vorbei und durch satt blau blühende schottische Glockenblumenfelder. Es geht stetig auf und ab und fordert eine gewisse Trittsicherheit. An diesem ersten Tag durchleben wir wohl jede emotionale Phase. Von Freude und Verbundenheit, über Wut und schließlich auch zu Entmutigung. Um 18:15 Uhr kommen wir völlig erschöpft an.
Die Highlands und die Sonne
Der Wecker der zwei Schweizerinnen in unserem Hostel klingelt um 7:00 Uhr. Damit startet auch unser zweiter Tag. Es geht weitere 20 km entlang des Loch Lomonds. Der nördliche Teil reizt durch seine Abgelegenheit: keine Straßen, keine Häuser nur Wanderer*innen und ein erster Blick auf die Highlands. Eigentlich waren wir auf Regen vorbereitet, doch Schottland zeigt sich von seiner schönsten Seite und ermutigt mich sogar zu einem Sprung in den Loch Lomond. Mit frischer Energie lassen wir den See hinter uns und starten tiefer in die Highlands.
Das schottische Hochplateau ist von Heidenkraut bewachsenen Tälern und den rauen Munros geprägt. Munros werden die Berge Schottlands über 914 m genannt, nachdem Sir Hugh Munro eine Liste dieser im Journal des schottischen Mountaineering Club im Jahr 1891 veröffentlichte. Insgesamt gibt es 282 Munros in Schottland. Alle einmal zu erklimmen, scheint seit Revd A E Robertson 1901 das erste Mal alle bestieg, die neue Nationalsportart zu sein. So hat zum Beispiel unser B&B Besitzer Jack eine dieser Karten zum Auskratzen für Länder die man* bereist hat, stattdessen für die Munros und sammelt fleißig Gipfel. Während ich mir diese anschaue, frage ich mich, ob die golden-schimmernde Abkratzfolie, die noch circa 230 Gipfel überdeckt, den sportlichen Ehrgeiz wie bei einer Goldmedaille anheizen soll oder im Zweifel einfach schick aussieht. Das Ganze geht so weit, dass sich der Ausdruck “Munro bagging“ unter Besteiger*innen etabliert hat. Hierfür berührt man* den Gipfel des heiligen Steinhügels eines Munro und kann sich dann nach 282 solcher Berührungen als “Munroist“ bezeichnen.
Triggerwarnung: Sonnenschein in den Highlands
Ja, richtig gelesen. Dank eines Wettergottes oder atmosphärisch-physikalischen Gegebenheiten wandern wir die schönsten Etappen des West Highland Way nun in Shorts und T-Shirt und genießen, wie die intensiven Sonnenstrahlen die Highlands in Szene setzen. Jeder Anstieg wird mit einem 360-Grad-Blick belohnt. Eine Wolke bietet mal hier und da ein beeindruckendes Schattenspiel auf den Munros, während die Schafe unbeachtet weiter das saftig grüne Gras der Highlands futtern. Die Wege sind breiter und ebener, sodass wir uns in einen guten Rhythmus einpendeln.
Wir erfreuen uns an den längeren Mittagspausen und machen es uns an Flüssen oder im Gras gemütlich. Der Lauf der Zeit scheint perfekt mit dem Wandern zu harmonieren, stetig und dennoch langsam genug, um die Eindrücke des Tages wirken zu lassen. So wandern wir vier Tage durch die beeindruckende Landschaft der Highlands und fühlen uns mit Zeit und Raum im Einklang. Mal reden wir länger, mal gehen wir schweigend nebeneinander oder hintereinander.
Das Ziel
Wir folgen den Flüssen Falloch, Fillan und Cononish und erfrischen ab und zu mal unsere Füße in dem kalten Wasser. Weiter geht es um den markanten Beinn Odhar, an dessen Fuß die Stechginstern gold leuchten. Wir wandern durch das Glen Orchy (als Glen werden Täler in Schottland bezeichnet) mit einem dramatischen Blick auf den Loch Tulla. Dank des guten Wetters bietet uns der alte Militärweg über das Rannoch Moor auf 400 Metern atemberaubende Blicke. Am sechsten Tag geht es durch das Glen Etive an dessen Eingang der „der große Hirte von Etive“ liegt. Dann weiter über die Devils Staircase mit dem belohnenden Blick auf die im Norden liegende Mamores-Bergkette bis nach Kinlochleven.
Die letzte Etappe nach Fort William führt über den Lairigmor (“der große Pass“), vorbei an dem höchsten Berg Schottlands und Großbritanniens, dem Ben Navis (1345m) ins Glen Nevis. Den ersten wirklich majestätischen Blick auf diesen Berg haben wir nach 20 km der Wanderung. Es ist für viele das Highlight der Strecke und gibt den meisten wohl die Kraft für die letzten 5 km. Uns gibt eher der nette Schotte, der uns entgegenkommt und sagt, er könne das Bier schon schmecken, es sei nicht mehr weit, den nötigen Ansporn. Wie dem auch sei, es ist eine wunderschöne Etappe im Sonnenschein, die bereits während der Wanderung ein nostalgisches Gefühl hinterlässt.
Begegnungen, Beziehungen und Cider
Meine anfängliche Sorge, dass es sich um einen stark begangenen Wanderweg handelte, bestätigt sich in gewisser Weise. Doch zu meinem Erstaunen gewinne ich dem Ganzen etwas Positives ab. Aufgrund der doch eher gering besiedelten Gegend gehen die meisten Wanderer*innen die gleichen Etappen. In den ersten zwei Tagen bleibt es meist bei einer freundlichen Begrüßung, doch nach und nach entwickelt sich mehr daraus. Wir unterhalten uns entlang des Weges und schließen Bekanntschaften mit Israelis, Engländer*innen, Schweizer*innen, Österreicher*innen und Persern; von 27 Jahren bis 75 Jahren, sie sind Freund*innen, Familie, ein Paar mit Hund, Whiskeykumpanen, eine Reiterin und ein Charity-Langstreckenläufer, der bereits 1000 Kilometer hinter sich hat.
So verschiedenen diese Menschen sind, so spannend ist es, ein gemeinsames Ziel zu verfolgen und gemeinsam, aber doch irgendwie einsam, in die gleiche Richtung zu gehen. Schnell erkundigt man* sich nach der Fitness des Tages oder redet über vergangene Wanderungen und beendet den Tag gemeinsam im Pub. Es bildet sich eine Community, die sich wohl sonst nie zusammenfinden würde und sich gegenseitig unterstützt, wie sie es wohl sonst nie täte. Es ist schön zu sehen, wie doch so unterschiedliche Menschen die Herausforderung gemeinsam meisterwhw7_bennavisn. Ich bewundere die 75-jährige Frau, wie sie die 550 Höhenmeter der Devils Staircase ununterbrochen durchsteigt. Ich bewundere meine Mutter, die sich nach einem Sturz und vier an ihr vorbeirasenden Schweizern in ihren Vierzigern nicht verunsichern ließ. Persönliche, sowie gesellschaftliche Grenzen des Möglichen verschieben sich fast ganz automatisch.
Am Zielort gehen wir mit einem Teil dieser Community gemeinsam essen. Der Raum strotzt nur so von positiver Energie durch das dazugewonnene Selbstbewusstsein, dem Stolz und der Freude, dass es jede*r Einzelne geschafft hat.
Als wir das letzte Cider Glas heben, wissen meine Mutter und ich bereits, dass wir nächstes Jahr erneut ein gemeinsames Abenteuer wagen werden.
Ach ja, eine Sache würde ich gerne noch mitgeben: Eine Woche bevor wir den West Highland Way starteten, fand das WHW Challenge Race statt. Zusätzlich zu den 153 km des WHW muss noch der Ben Navis erklommen werden. Auf dem ersten Platz lag ein Ire mit einer Zeit von 17 Stunden und 49 Minuten. Die schnellste weibliche Person erreichte das Ziel mit einer Zeit von 21 Stunden und 33 Minuten.
Offizielle Seite des West Highland Way: https://www.westhighlandway.org/